60. Patenschaftsjubiläum eingebettet in Deutsch-Tschechische Kulturtage

– Stadt Augsburg und Heimatkreis Reichenberg gedenken Patenschaftsübernahme
– Tschechische Ehrengäste danken Heimatkreis Reichenberg für jahrzehntelange grenzüberschreitende Aufbauarbeit
– Reichenberg – Perle der Kunst in Nordböhmen
– Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl mit Liebieg-Denkmünze ausgezeichnet
– Festredner Stephan Mayer, MdB, lobt gelebte Patenschaft und Partnerschaft
– „Schwarz-weiß | černo-bílé“ Motto des diesjährigen Dialog
– Begleitausstellung „Die Gerufenen“ im Unteren Flez
– Stadt Augsburg und Heimatkreis Reichenberg gedenken Patenschaftsübernahme
Einen besseren Rahmen hätte die Gedenkfeier zum 60. Patenschaftsjubiläum der Stadt Augsburg über die aus ihrer Heimat Reichenberg – Stadt- und Landkreis – vor 70 Jahren vertriebenen Deutschen wahrlich nicht finden können. Eingebettet in die Deutsch-Tschechischen Kulturtage, die turnusmäßig wieder in der Friedensstadt Augsburg stattfanden, bewiesen Reichenberger, vertriebene und gebliebene, zahlreiche Ehrengäste aus Politik, Verwaltung, Kirche und Wirtschaft, aus dem landsmannschaftlichen Umfeld und dem gesamten gesellschaftlichen Leben Augsburgs der Veranstaltung durch ihre Anwesenheit ihre Ehre.

Die Grußworte des Augsburger Oberbürgermeisters, Dr. Kurt Gribl, zeigten den hohen Stellenwert, den sich die Reichenberger, die sich einst unter dem Dach des Heimatkreises zusammenfanden, in ihrer Patenstadt genießen. Er spann den Bogen von den Anfängen, als zehntausende Sudetendeutsche in Augsburg strandeten und gezwungen waren sich ein neues Leben aufzubauen, bis ins Jetzt und Heute, da sich die Reichenberger mit ganzer Kraft dem Aussöhnungsprozess mit den Nachbarn in der Tschechischen Republik widmen. Gribl verwies auf die Menschrechtsverletzungen, die den Sudetendeutschen zugefügt wurden und lobte den Willen der Reichenberger – auf Grundlage der Charta der Heimatvertriebenen aus dem Jahr 1950 – für ein geeintes Europa einzutreten. Diese Heimatarbeit des Heimatkreises seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war es auch, die dazu führte, dass Augsburg und Liberec/Reichenberg im Jahr 2001 zueinander fanden und eine Städtepartnerschaft schlossen. Seither gedeihen die Beziehungen zwischen den beiden Städten, dem Verband der Deutschen in Reichenberg und dem Heimatkreis Reichenberg immer besser. Augsburgs Oberbürgermeister dankte dem Heimatkreis daher ausdrücklich für diese „Graswurzelarbeit“, wie er es nannte, und drückte seinen Wunsch aus, darin nicht nachzulassen.

 

– Tschechische Ehrengäste danken Heimatkreis Reichenberg für jahrzehntelange grenzüberschreitende Aufbauarbeit
Reichenbergs amtierender Oberbürgermeister Tibor Batthyány war mit seiner Delegation Gast der Kulturtage und auch des Festaktes. In seinem Grußwort lobte er die grenzüberschreitende Arbeit des Heimatkreises und die Unterstützung die dieser in Reichenberg leiste. Er verwies darauf, dass es Menschen wären, die durch ihre Fehler die Katastrophen auslösten, die auch zur Vertreibung der Deutschen aus Reichenberg führten. Und er versprach sich dafür einzusetzen, dass nie wieder Menschen solche Fehler begehen würden. Die Worte, die er dabei wählte, brachten die Dolmetscherin zunächst ins Schwitzen; sprach er doch von „Lumpen“, die solches Leid über die Menschen brachten.

 

– Reichenberg – Perle der Kunst in Nordböhmen
Reichenberg ist seit alters her als Stadt der Wirtschaft und Kultur bekannt. An diesem Abend bewiesen das E.T.A. Hoffmann Trio, mit dem Reichenberger Christoph Probst an der Spitze und der Chor Rosex, die den festlichen Abend musikalisch begleiteten, dass Reichenberg bis heute eine Stadt der Künste ist, eine Perle der Kunst in Nordböhmen.

Klaus Hoffmann, Vorsitzender des Heimatkreises Reichenberg Stadt und Land e.V., dankte in seiner Ansprache der Patenstadt im Besonderen der Augsburger Bevölkerung für die Aufnahme in der vom Krieg zerstörten Stadt. Er verwies allerdings auch auf die aktuelle Situation der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen weltweit. 60 Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebene heute – viermal mehr als vor 70 Jahren, als 15 Millionen Deutsche heimatlos wurden. Er rief die Anwesenden zum Dialog auf, um Nationalismus und Nationalsozialismus entgegenzuwirken. Er sagte „Wir wollen Frieden machen. Wir wollen die durch Diktaturen jeglicher Couleur angerichteten geistigen und materiellen Schäden versuchen zu heilen, und sie im Interesse aller wieder gutmachen. Unsere gemeinsame Geschichte in Böhmen, ein über 800 Jahre miteinander geschaffener gemeinsamer Kulturraum und 70 Jahre hier in Deutschland, Bayern und Augsburg verpflichten uns dazu. Wir wollen Gemeinsames stärken und noch Trennendes überwinden.“

Hoffmann dankte den Verantwortlichen in Augsburg, die vor 60 Jahren die Patenschaft übernahmen und dies in der Patenschaftsurkunde, die in der Heimatstube zu sehen ist, dokumentierten. Besonders hob er die Brückenbauerfunktion des Heimatkreises seit 1989 hervor. Einmal mehr wies er auf die unzähligen sozialen und karitativen Maßnahmen hin, die der Heimatkreis Reichenberg immer in Zusammenarbeit mit dem Verband der Deutschen leistete. Plätze im Altersheim, Kirchenrenovierung, Hochwasserhilfe, Kulturtage und viele andere Dinge waren angestoßen worden. Er dankte den Stadtvätern der Heimatstadt für die Entwicklung der letzten Jahre und meinte „Wir können heute sagen, dass aus Reichenberg wieder eine dynamische aufstrebende Stadt in Nordböhmen geworden ist.“ Besondere Erwähnung fand Hoffmann für den Bau der Wissenschaftlichen Bibliothek, ein Gemeinschaftswerk der deutschen und tschechischen Regierung, der als „Bau der Versöhnung“ in die Geschichtsbücher eingehen wird. Seinen Landsleuten und allen Förderern dankte er ausdrücklich für die großzügige Unterstützung über all die Jahre.

Hoffmann setzte deutliche Zeichen gegen Nationalismus und Nationalsozialismus als er betonte „Die Zukunft gehört denen die neue Wege der Zusammenarbeit beschreiten und sich gegen Nationalismus und gegen Nationalsozialismus stellen. Wir Reichenberger – gleich welcher Nationalität – sollten ihn auch weiterhin mit unseren deutschen, bayerischen und Augsburger Bürgern gehen und unseren Teil dazu beitragen.“

Ihren Dank an die Patenstadt brachten die Reichenberger in der Vergangenheit immer wieder durch sichtbare Zeichen zum Ausdruck. Der Reichenberger Brunnen vor dem Kongresszentrum aus dem Jahr 1985, ein Glasfenster im Verwaltungsbau des Rathauses oder der Wandteppich im Oberen Flez bezeugen diesen Dank. Anlässlich dieser Feierlichkeit überbrachte Klaus Hoffmann ein weiteres Geschenk: eine Chronik Reichenbergs. Es handelt sich dabei um keine geringere als das Original der Rohn´schen Chronik aus dem Jahr 1763 in der Carl Johann Rohn die deutsche Geschichte Reichenbergs und Friedlands darstellt.

– Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl mit Liebieg-Denkmünze ausgezeichnet
Höhepunkt der Dankrede war die Verleihung der Liebieg-Denkmünze an Augsburgs Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl. Es ist dies die höchste Auszeichnung, die der Heimatkreis Reichenberg zu vergeben hat. Sie wird seit 1962 „an Persönlichkeiten und Institutionen verliehen, die sich durch hervorragende Leistungen auf dem Gebiete der Kunst, Wissenschaft, der Wirtschaft oder Technik, der Volkgruppenarbeit oder im öffentlichen Leben Verdienste erworben oder zur Mehrung des Ansehens des Heimatkreises und seiner Arbeit beigetragen haben“ wie Hoffmann im Beisein eines Nachfahren derer von Liebieg im Goldenen Saal erklärte. Dr. Gribl erhält die Auszeichnung in Anbetracht seiner Leistungen im grenzüberschreitenden Dialog mit Reichenberg. Hoffmann weiter „Wir würdigen damit seinen besonderen Einsatz und sein Wirken im grenzüberschreitenden Miteinander für unsere Heimatstadt Reichenberg. Die damit verbundene Wertschätzung und Verfolgung unserer Anliegen trägt im besonderem zum Erhalt der deutschen Kultur Reichenbergs bei. Der von ihm geförderte Dialog zwischen den ehemaligen und heutigen Bewohnern, sowie deren Nachkommen erzeugt gegenseitige Achtung und Vertrauen und ist damit die Brücke für ein Miteinander in Europa.“

– Festredner Stephan Mayer, MdB, lobt gelebte Patenschaft und Partnerschaft
In seiner Festrede ging Mayer auf die Verdienste des Heimatkreises ein. Er lobte den Verständigungswillen, der jedoch immer von der geschichtlichen Wahrheit getragen sein muss. Er erwähnte die sichtbaren Zeichen der Reichenberger in Augsburg und auch die Neue Reichenberger Hütte als letztes Stück Heimat in den Bergen Osttirols. Mayer begrüßte die Durchführung des ersten bundesweiten Gedenktages für die deutschen Heimatvertriebenen, nur wenige Tage zuvor. Ein dringend notwendiger Gedenktag, wie er meinte. Immer wieder spann Stephan Mayer den Bogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart und zeigte sich angesichts der aktuellen Situation zuversichtlich, dass der Dialog zwischen den Völkern Europas voranschreiten wird.

Im Anschluss an den Festakt lud die Patenstadt alle Gäste zu einem Empfang in den Oberen Flez. Hier ereigneten sich Begegnungen, wie wir sie von Heimattreffen und dem Sudetendeutschen Tag kennen. Begleitet von Klängen des Fagotti parlando Quartetts trafen sich Menschen, die sich seit Jahrzehnten nicht mehr sahen. Besonders eindrucksvoll war die Begegnung ehemaliger Teilnehmer der Reichenberger Jugendwochen. Ein Indiz dafür, dass die Neugier nach der Heimat nach wie vor groß ist. Daher beschloss der Vorstand noch während des Empfanges möglichst bald alle Ehemaligen einzuladen, um mit ihnen den Austausch zu stärken.

– „Schwarz-weiß | černo-bílé“ Motto des diesjährigen Dialog
Die Patenschaftsfeier war eingebettet in die diesjährigen Deutsch-Tschechischen Kulturtage „Dialog“, die unter dem Motto „Schwarz-weiß | černo-bílé“ standen.

Mit einem Totengedenken am Gedenkstein der Vertriebenen im Wittelsbacher Park, nahe der Kongresshalle, eröffnete der Heimatkreis die Kulturtage.

Anschließend sprachen während einer Podiumsdiskussion verschiedene Generationen über ihre Erfahrungen und persönlichen Schicksale. Vertriebene und Gebliebene diskutierten mit Anna Knechtel, die moderierte. Eine gelungene Veranstaltung im H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Augsburger Glaspalast. Trafen doch Vertreter dreier Generationen zusammen, die jeder für sich ihre eigene Geschichte zu erzählen hatten.

Die Übergabe eines Gastgeschenkes der Stadt Liberec/Reichenberg im Botanischen Garten stand am Nachmittag an. Künstlerisch gestaltete Platten durch die Reichenberger Künstlerin Jitka Mrázková, die während des Workshops „Second Generation“ in Augsburg (Grandhotel Cosmopolis) im Herbst 2014 entstanden. Die Arbeit trägt den Titel: Spuren – Stopy. Ein treffender Titel, denn die Reichenberger haben ihre Spuren in beiden Städten hinterlassen.

Die feierliche Eröffnung fand wiederum im H2 – Zentrum für Gegenwartskunst statt. Gleichzeitig wurde die Ausstellung „Jiří Jiroutek – Fotografie“ eröffnet, die noch mehrere Wochen zu bestaunen ist. Die Eröffnung wurde begleitet von Künstlern aus Reichenberg und Augsburg. Eindrucksvoll stellten die Künstler ihr Können unter Beweis. Der Chor Rosex, eine Tanz-Performance zu Klängen des Didgeridoo-Duos mit Solistinnen des Theaters F. X. Šaldy (Reichenberg) sowie Nachwuchstalenten der Augsburger Ballettakademie DanceCenter No1. Zeigten ihr Können. Oberbürgermeister Gribl eröffnete die Ausstellung und hob schon hier die Bedeutung der Kulturtage und das frühe Engagement des Heimatkreises hervor, der bereits 1990 die ersten Deutsch-Tschechischen Kulturtage veranstaltete. Tibor Batthyány sprach Grußworte und freute sich nicht nur auf die Kulturtage, sondern auch darauf, dass er seine in der Nähe wohnende Familie sehen könne. Auch der tschechische Generalkonsul, PhDr. Milan Čoupek, war aus München zur Eröffnung angereist und sprach ein Grußwort. Beide wussten um die Initiativen des Heimatkreises und dessen Wirken in der grenzüberschreitenden Arbeit, die mit den Umwälzungen in Mittel- und Osteuropa ab 1989 erst richtig Fahrt aufnahmen.

Augsburg und das „kleinste Museum“ besichtigten die tschechischen Gäste am Samstag. Vor der Heimatstube hing ein großes Motiv des Isergebirges und verwies auf die Heimat aller Reichenberger. An der Besichtigung nahm die offizielle Delegation aus dem Rathaus ebenso teil, wie Vertreter des Verbandes der Deutschen in Reichenberg, angeführt von der Vorsitzenden Krista Blaževičová. Viele Gäste waren zum ersten Mal in Augsburg und zum ersten Mal in der Reichenberger Heimatstube. Entsprechend beeindruckt zeigten sie sich. Nach einem Einführungsvortrag durch Rudolf Simm stellten die Teilnehmer noch einige Fragen. Verwirrung und Entsetzen konnte man in den Gesichtern ablesen, als die Vertreibungszahlen, im Übrigen auf Nachfrage einzelner tschechischer Teilnehmer, vorgetragen wurden. Von den bei einer Volkszählung im Jahr 1939 ermittelten 68.167 Einwohnern Reichenbergs bekannten sich 66.379 zur deutschen Nationalität. Bei einer Zählung im Jahr 1947 zählte man zwar 49.940 Einwohner; 64.060 Deutsche wurden jedoch vertreiben, 2.319 durften, korrekterweise mussten bleiben; dafür besetzten nun 47.621 Tschechen und Slowaken die Häuser. Die Heimatstube blieb für Vorträge und Lesungen bis in den Nachmittag geöffnet.

Ein Chorwettstreit stand im Mittelpunkt des Nachmittagsprogrammes. Chor Rosex aus Reichenberg und das Augsburger Vokalensemble stritten um die Gunst der Zuhörer im Viermetzhof im Maximilianmuseum. Die Zuhörer waren begeistert von den Fertigkeiten der Künstler.

Eine Matinee am Sonntagmorgen in St. Ulrich, wiederum getragen von den beiden Chören Rosex und dem Augsburger Vokalensemble bildete den Abschluss der Deutsch-Tschechischen Kulturtage. Oberbürgermeister Dr. Kurt Gröbl dankte allen Beteiligten und verabschiedete sie bis zum nächsten Mal wenn es im Jahr 2017 wieder heißen wird „Herzlich willkommen zu den Deutsch-Tschechischen Kulturtagen in Reichenberg“.

– Begleitausstellung „Die Gerufenen“ im Unteren Flez
Schon vier Wochen (28.5. bis 28.6.15) vor der feierlichen Eröffnung der Deutsch-Tschechischen Kulturtage wurde vom Heimatkreis Reichenberg die Ausstellung „Die Gerufenen“ im Unteren Flez des Augsburger Rathauses eröffnet. Die Ausstellung zeigte die Geschichte wie sich Deutsche vor über 800 Jahren in Mittel- und Osteuropa ansiedelten. Ergänzt wurde die Ausstellung des BdV durch Schautafeln über die Geschichte Reichenbergs. Die Ausstellung hatte regen Zulauf und wurde gerne besichtigt.

Ein Wort des Dankes zum Schluss.
Ein solches Ereignis kann nur gelingen, wenn viele Hände zusammenwirken. Daher sei an dieser Stelle allen Teilnehmern und Besuchern gedankt und denjenigen, die sich um die Vorbereitungen gekümmert und den Heimatkreis unterstützt haben ganz besonders. Herzlich danken wir insbesondere Frau Schaller und Herrn Saborowski von der Stadt Augsburg, Frau Hefele von Artefakt Augsburg, Frau Rothe und Herrn Pieke vom Heimatkreis Reichenberg, sowie dem Helmut Preussler Verlag in Nürnberg und TAC-Office in Karlsruhe.

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