Kratzau

Kratzau, die zweitgrößte Stadt des Kreises, liegt nordwestlich von Reichenberg an der Einmündung des Görsbaches in die Neiße. Die Lage der Stadt ist charakterisiert durch das Zusammentreffen von Iser- und Jeschkengebirge. Nach Süden wölbt sich unmittelbar aus der Stadt der Schafsberg (501m) empor.

Ober-Kratzau, bis 1945 selbständige politische Gemeinde, zieht sich, dem Lauf des Görsbachs folgend, weiter nach Nordosten. Hohendorf im Norden und Kratzauer Neudörfel im Südosten sind kleinere Ortsteile von Ober-Kratzau, hatten landwirtschaftlichen Charakter und liegen auf den weiten Höhen über dem Görsbachtal. Unter-Kratzau, bis 1924 selbstständig und danach als Kratzau III eingemeindet, folgt dem Unterlauf des Görsbaches bis zu Neiße hin. Der Ortsteil Kratzau II, auch als Kratzau-Neustadt bezeichnet und seit 1833 zur Stadt gehörig, liegt am Abhang des Neißetals und vermittelt den Übergang zu Engelsberg.

Das Kernstück der Stadt bildet der Marktplatz mit dem 1646 erbauten Rathaus, eine schöne barocke Gibelfassade zeigt das danebenliegende „Hotel Roß“, später Stadtmuseum. Die Pestsäule ist das künstlerisch wertvollste Denkmal der Stadt, das 1732 zur Zeit der damals wütenden Pest errichtet wurde. Gekrönt wird der 5 m hohe Sockel von der Muttergottes, ihr zu Füßen sitzen 4 Putten.

Zu den das Stadtbild bestimmenden Gebäuden gehört die, heute leider dem Verfall preisgegebene, dem hl. Laurentius geweihte neugotische Kirche aus dem Jahre 1868. Sie beherbergt als künsterlisch bedeutendstes Gemälde an einem Seitenaltar die „Maria im Grünen“ von Joseph von Führich, dem berühmtesten Sohn der Stadt.

Die älteste Angabe über die Einwohnerzahl stammt aus dem Jahr 1679 und wird mit 714 Einwohnern angegeben. Bis zum Mai 1945 war die Einwohnerzahl auf über 7.000 angestiegen, um 1948 auf 2.800 abzusinken. Bis zur Vertreibung war die Bewohner zu mehr als 90 % Deutsche. Tschechen wanderten hauptsächlich zur Zeit der Industriealisierung um die Jahrhundertwende zu.

Die Gründung der Stadt dürfte Ende des 13. Jahrhunderts sein. 1356 werden in Kratzau eine Pfarrkirche und ein Pfarrer namens Johannes genannt. 1406 erscheint ein Stadthauptmann Albrecht Magkrisch und 1411 Langehancz als erster namentlich bekannter Bürgermeister. Im gleichen Jahr ist erstmals der Kupferbergbau bei der Stadt nachgewiesen.

Von Anfang an gehörte Kratzau zur Herrschaft Grafenstein, die um Mitte des 16. Jahrhunderts schon 23 Orte umfaßte.

Von besonderer Bedeutung war die Übertragung der Halsgerichtsbarkeit. Das 1565 begonnene „Schwarze Gerichtsbuch“ eines der wertvollsten Stücke des Kratzauer Museums, wurde 200 Jahr lang geführt und gibt Auskunft über „alle peinlichen Halsgericht- und Unfriedensachen“, die in der Stadt verhandelt und sehr oft auf dem Galgenberg zu einem schrecklichen Ende gebracht wurden. Zwischen 1516 und 1765 sind 17 Kratzauer Stadtrichter namentlich gekannt, als erster von ihnen Anton Heintze.

Die Anfänge des Kratzauer Schulwesens lassen sich bis in 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Der erste Kratzauer Lehrer ist ein evangelischer Schulmeister namens Paulus Gaessner. Aus dem 18. Jahrhundert sind fünf Lehrkräfte bekannt, u.a. Gabriel Klesel, den 1717 während des Gottesdienstes der Blitz erschlug.

1880 errichtete die Stadt das erste der beiden großen, repräsentativen Schulgebäude, das zunächst als Volks- und Bürgerschule, ab 1896 als Mädchenschule diente. Es war bereits mit Zeichensaal und Turnhalle ausgestattet und wurde 1932 unterkellert und mit einer Zentralheizung ausgestattet. 1883 nahm die Knabenschule noch eine mit der Webereifachschule verbundene Gewerbliche Fortbildungsschule auf. 1894 folgte eine Mädchen- und 1905 eine Landwirtschaftliche Fortbildungsschule.

Das älteste Kratzauer Fabrikunternehmen, eine Baumwollweberei, wurde 1815 von Franz Krause errichtet. 13 weitere Fabrikgründungen folgten im 19 Jahrhundert.

Zu den bedeutensten Betrieben zählten z.B. die Tuchfabrik Ignaz Klinger, seit 1901 Wollwarenerzeugung, Militärtuche und Decken. Beschäftigt waren mehr als 600 Mitarbeiter.

Die Baumwollspinnerei J. H. Altschuls Söhne, 1828 erbaut, war der größte Betrieb Ober-Kratzaus. Er ging nach 1938 an die Fa. Melchior & Co. Über, arbeitete voll bis in die letzten Kriegstage und blieb auch danach als Textilbetrieb bestehen.

Die Musikwerke Gebrüder Riemer, seit 1845 bestehend, stellten Drehorgeln, Orchestrions, später elektrische Klaviere und andere Musikwerke her, die den Namen der Firma im In- und Ausland bekanntmachten.

Die Turn- und Sportgeräte- und Schulmöbelfabrik Julius Ulbrich, seit 1879, hatte ebenfalls einen weitbekannten Ruf und bestand bis 1945. Die Maschinenfabrik Lux & Co., seit 1926, stellte Spezialmaschinen für die Gablonzer Glasindustrie, Heizungs- und Lüftungsanlagen, Verpackungsautomaten und Textilmaschinen her und übernahm 1941 auch die Gießerei König. Die Firma, die bis 1945 in Kratzau arbeitete, erstand in gleicher Branche wieder in Oberursel / Taunus.

Nicht nur die Erzeugnisse der Kratzauer Industrie trugen den Namen der Stadt in die Welt. Auch bedeutende Künstler sind aus ihr hervorgegangen. Auffallend ist dabei der große Anteil der Maler. An ihrer Spitze steht Joseph Ritter von Führich, 1800 in Kratzau geboren, 1876 in Wien gestorben. Ein mehrjähriger Italienaufenthalt bringt Führing in den Kreis der bedeutendsten deutschen Romantiker. 1834 geht er von Prag nach Wien, sein Lebenswerk umfasst mehr als 1000 Bilder. Weitere Künstler sind die Maler Gustav Kratzmann (1812-1902), Wilhelm Kandler (1816-96) und Heinrich Demuth (1863-1950). Einer alten Kratzauer Familie entstammt auch der Lehrer, Maler, Radierer und Grafiker Karl Johne (1887-1959), dessen einzigartigen Farbholzschnitte zu den eindrucksvollsten Darstellungen gehören.

Ebenfalls auf musikalischem Gebiet tat sich der Opernsänger Franz Josef Schütky (1817-93) hervor. 1853 wurde er an der Stuttgarter Hofoper zum Kammersänger ernannt.

2007 erhielt der in der DDR bekannt gewordene Maler Willy Sitte (1921-2013)  in seinem Geburtsort Kratzau gleich zwei Gedenktafeln. Über ein halbes Jahrhundert hat Sitte die Bildkunst im Osten Deutschlands mitgestaltet. Sein Werk wurde international bekannt und hoch geehrt.

 

Schreibe einen Kommentar