“Deutschland, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Italien sind unter Berücksichtigung des Abkommens, das hinsichtlich der Abtretung des sudetendeutschen Gebiets bereits grundsätzlich erzielt wurde, über folgende Bedingungen und Modalitäten dieser Abtretung und über die danach zu ergreifenden Maßnahmen übereingekommen und erklären sich durch dieses Abkommen einzeln verantwortlich für die zur Sicherung seiner Erfüllung notwendigen Schritte.”
So beginnt das “Abkommen zwischen Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Italien, Getroffen in München, am 29. September 1938”. Bekannt ist dieses Abkommen kurz als “Münchner Abkommen” und es wurde und wird heftig diskutiert.
Lesen Sie hierzu den Geheimbrief des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Edvard Benesch, der bereits einige Tage vor dem Münchner Abkommen von München geschrieben wurde.
Zur Vorgeschichte von „München“ veröffentlicht Fritz Peter Habel durch das Sudetendeutsche Architv, München, im Band „Dokumente zur Sudetenfrage“ (ISBN 3-7844-2038-9) unter anderem auf Seite 219 ff auch folgende Dokumentation:
Vergleich und Analyse: 1938, 15./17. September
Geheimbrief des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Edvard Beneš:
Teilabtretung bei gleichzeitiger Massenvertreibung
Vorbemerkung:
Durch die nachfolgende Gegenüberstellung der Originalfassung und einer bekannten Übersetzung ist es möglich, über die Kenntnis von Entwicklungsphasen des Beleges ein vertieftes Verständnis seiner Auswirkungen zu erhalten. (4)
A
|
Das tschechischsprachige Original vom 15. September 1938 (1): (Übersetzung) |
B
|
Die französischsprachige Fassung vom 17. September 1938 (2) (Übersetzung) |
Herrn Minister Necas (3) | Herrn Minister Necas (3) (5) | ||
1. | Niemals zugeben, daß gesagt werden könnte, der Plan stamme von den Cechosl. | Niemals zugeben, daß gesagt werden könnte, der Plan stamme von den Tschechoslowaken. | |
2. | Muß äußerst geheim gehalten werden, veröffentlicht werden darf nichts. | Die französische Übersetzung ist — mit Ausnahme der unterdrückten Ziffern — mit der im tschechischen Original identisch. | |
3. | Der Umfang des Gebietes, das wir abtreten könnten, muß zwischen Franzosen und Engländern nach unseren genauen Angaben geheim abgesprochen werden. Sonst besteht die Gefahr, daß sie, wenn sie unsere prinzipielle Zustimmung kennen, am Ende Hitler nachgeben und ihm alles geben. |
Die französische Übersetzung ist — mit Ausnahme der unterdrückten Ziffern — mit der im tschechischen Original identisch. | |
4. | Dann muß der ganze Plan schon fertig Hitler als letzte Konzession mit den anderen Konzessionen aufgezwungen werden | In der französischen Fassung fehlt der Inhalt der Ziffer 4 der tschechischen Fassung. | |
5.
|
Das bedeutet, daß Deutschland so und so viele Tausend km² (ich selbst weiß es nicht, aber es würden ungefähr 4-6 000 km² sein – in dieser Sache darf man sich nicht binden)unter der Bedingung erhalten würde, wenigstens 1 500 000 bis 2 000 000 der deutschen Bevölkerung zu übernehmen. Dies würde daher eine Ortsverlagerung der Bevölkerung(6) bedeuten, wobei Demokraten, Sozialisten und Juden bei uns bleiben würden. | Das bedeutet, daß Deutschland so und so viele Tausend km² Gebiet erhält. (Ich selbst weiß nicht genau, wieviel, aber wahrscheinlich etwa 4 000-6 000 km².) Uber diesen Punkt darf man sich nur unter der Bedingung einigen, daß ein beachtenswerter Abzug von mindestens 1 500 000 oder 2 000 000 der deutschsprachigen Bevölkerung erfolgt.(7) Anders ausgedrückt: Es müßte ein Bevölkerungstransfer stattfinden, wobei die Demokraten, Sozialisten und Israeliten innerhalb unserer Gemeinschaft verbleiben würden. | |
6. | Eine andere Lösung ist unmöglich, da sonst die Frage der völligen Aufteilung der Republik entstünde. Deswegen ist dieser ganze Gedanke höchst gefährlich und es wäre katastrophal, wenn er leichtfertig offenbar würde | In der französischen Fassung fehlt der Inhalt der Ziffern 6, 7 und 8 des tschechischen Originals. | |
7. | Achten Sie auch darauf – man könnte Ihnen damit irgendeine Illoyalität vorwerfen – man kann nie wissen. | ||
8. | … Eine Volksabstimmung … ist technisch, rechtlich und politisch unmöglich. Auch auf Landkarte(8) aufzeigen, wie nach der Volksabstimmung die Form unseres Staates und die Position Deutschlands aussehen würde. | Zur Landkarte: Siehe Anmerkung (5) | |
1. | Nicht sagen, daß das von mir kommt. | Nicht zugeben, daß das alles von mir stammt. | |
2. | Osusk.(9) nichts sagen und verlangen, daß mit ihm nicht darüber gesprochen wird. | Kein Wort davon Osusky (9) sagen und verlangen, daß man mit ihm nicht darüber spricht. | |
3. | Diese Papiere vernichten.(10) | Diese Papiere vernichten.(10) |
Anmerkungen:
(1) Pachta/Reimann (a.a.O., Seite 112) berichten: »Der Brief ist ohne Datum und wurde am 15. September 1938 vor dem Abflug Necas nach Paris sehr eilig niedergeschrieben«
(2) Datum der französischen Fassung.
(3) Jaromir Necas, Politiker der Tschechoslowakischen Sozialistischen Partei, war vom 14. Juni 1935 bis 22. September 1938 Minister für soziale Fürsorge in vier tschechoslowakischen Kabinetten.
(4) Pachta/Reimann (a.a.O.) berichten: Nach eigenen Angaben sei Necas von seinem Parteivorsitzenden am 15. September 1938 hauptsächlich deshalb nach Paris geschickt worden, »damit sich England mit Frankreich auf gar keinen Fall für eine Volksabstimmung aussprächen«.
Dann dürfte er zusätzlich von Staatspräsident Beneš das Geheimschreiben erhalten haben. »Necas flog noch am 15. September 1938 nach Paris, wo er am gleichen Abend lange mit Leon Blum (Vorsitzender der französischen Sozialistischen Partei) verhandelte. Am 16. September sprach er mit verschiedenen anderen französischen Politikern und flog am 17. September nach London, wo er Gespräche mit den Labourvorsitzenden Clement Attlee und Hugh Dalton sowie mit führenden Funktionären der liberalen Partei hatte. Per Flugzeug kehrte er am 19. September 1938 nach Prag zurück«
(5) Die französischen Herausgeber berichten (a.a.O., S. 288): »Das Dokument wurde von Präsident Beneš am 17. September 1938 seinem Minister für soziale Fürsorge, dem Sozialdemokraten Jaromir Necas, zur Weitergabe an Leon Blum übermittelt … (Dieser) brachte am 18. September 1938 … das Dokument und eine Landkarte, die das Gebiet umschrieb, das der tschechoslowakische Präsident abzutreten bereit war, zu M. Daladier, der gerade zur Konferenz in London aufbrach.«
(6) Ein Zahlenvergleich macht deutlich, daß Beneš damit die Hergabe einer relativ kleinen Fläche für die Übernahme einer relativ großen Bevölkerungszahl plante. Das wäre nur durch große Umsiedlungen/Vertreibungen möglich gewesen.
Gesamt |
davon abzutreten bzw. »zu übernehmen« |
Anteil |
|
Fläche des Sudetengebietes |
ca 27 000 km² |
ca 4 000 bis 6 000 km² |
ca 15 bis ca 22 % |
Deutsche Einwohner im Sudetengebiet | ca 3 000 000 Menschen |
ca 1 500 000 bis 2 000 000 Menschen |
ca 50 bis ca 66 % |
(7) Der Grundgedanke der tschechischen Fassung, nämlich minimale Abtretung von Landesfläche bei maximaler Bevölkerungsverschiebung (=. Vertreibung), bleibt erhalten.
(8) Die Landkarte war bis zur Drucklegung (1984) nicht wieder aufgetaucht.
(9) Gemeint ist der tschechoslowakische Botschafter in Paris, Stefan Osusky. Anscheinend bereits 1938 von Beneš als Gegner angesehen, wurde er während des zweiten Weltkrieges (1939 – 1945) aus der Exilarbeit der Tschechoslowaken völlig entfernt.
(10) Pachta/Reimann (a.a.O. Seite 113) vermerken: »Es wäre müßig, sich mit der Frage zu befassen, warum diese Instruktion Benešs an Necas nicht vernichtet wurden.«
–––––––––––
Quellen
A Für das Original:
Pachta, Jan und Reimann, Pavel: »O novych dokumentach k otazce Minichova« [Über neue Dokumente zur Frage München] in: »Prispevky k dejinam KSC« [Beiträge zur Geschichte der KPTsch]; Bd. 1; Prag 1947; Seite 112 f.
B für die französischsprachige Fassung:
»Documents diplomatiques francais 1932 – 1939« [Französische diplomatische Dokumente 1932 – 1939]; 2. Reihe, Band XI; Paris, 1977; Seite 288 f.
Wortgetreu wiedergegeben ohne fremdsprachige Akzente und mit geringfügig geänderten Hervorhebungen, in der Tabelle in Anmerkung zu (6) Prozentsätze präzisiert. Grafik erzeugt und beigefügt: ML 2001-09-02
Beneš nimmt an – die Tschechoslowakei beugt sich dem Druck der englischen und französischen Regierungen:
„Keesings’s Archiv der Gegenwart“ teilt unter dem Datum 21. September 1938 mit:
Seite 3730 A (Die eingeklammerten Zahlen mit Buchstaben sind Verweisstellen zu Keesings Archiv der Gegenwart)
ENGLAND, FRANKREICH. Außenpolitik. TSCHECHO-SLOWAKEI. Nationalitäten.
– Die englisch-französischen Vorschläge zur tschecho-slowakischen Krise, die anläßlich der Londoner Ministerkonferenz (3728 D) auf Grundlage der Berchtesgadener Besprechungen zwischen Chamberlain und Hitler (3723 E) vereinbart und am 19. September von den Kabinetten in Paris und London gebilligt wurden, hatten nach den Informationen der Presse folgenden Inhalt:
1.
Abtretung der Gebiete mit mehr als 50 % deutscher Bevölkerung der Tschecho-Slowakei ohne Volksabstimmung.
Grenzfestsetzung durch eine internationale Kommission auf Grund der Ergebnisse der letzten Gemeindewahlen und Möglichkeit eines Bevölkerungsaustausches.
2.
weitgehende Autonomie nach den letzten Vorschlägen der Prager Regierung (3716 A) für gemischtsprachige Gebiete.
3.
Neutralisierung der Tschecho-Slowakei; Aufgabe der Hilfeleistungspakte mit Frankreich und der Sowjetunion.
4.
Garantie der neuen Tschecho-Slowakei durch die Nachbarstaaten sowie England, Frankreich und Italien. Die Zustimmung zu diesen von den englischen Staatsmännern vertretenen Vorschlägen kam erst nach großen Schwierigkeiten und nach Feststellung von englischer Seite zustande, daß England die bestehende Paktverpflichtung Frankreichs gegenüber der Tschecho-Slowakei respektieren, aber nur dann militärische Hilfe leisten werde, wenn die Integrität Frankreichs bedroht wäre.
Die Vorschläge wurden am 19. September 1938 der tschecho-slowakischen Regierung übermittelt. Die Prager Regierung gab am 20. September zunächst eine ausweichende Antwort, in der sie sich auf strategische, wirtschaftliche und verkehrstechnische Schwierigkeiten berief und unter Hinweis auf den noch in Kraft befindlichen deutsch-tschechischen Schiedsvertrag vom Jahre 1925 und auf Versicherungen des Generalfeldmarschalls Göring, die dieser nach dem Anschluß Österreichs dem britischen Botschafter in Berlin hinsichtlich der Tschecho-Slowakei gegeben hatte (3491 C), die Austragung der Angelegenheit durch den Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag vorschlug. Nach wiederholten Demarchen der französischen und englischen Regierung nahm die tschecho-slowakische Regierung die Vorschläge am 21. September 1938 abends vorbehaltlos an. Das amtliche Communiqué lautete wie folgt:
„Die tschecho-slowakische Regierung hat sich unter dem unwiderstehlichen Druck der britischen und der französischen Regierung gezwungen gesehen, schmerzerfüllt die in London ausgearbeiteten Vorschläge anzunehmen.“
(Hervorhebungen geändert ML 2001-04-15)
Unter dem Vorsitz von Präsident Dr. Edvard Beneš hielt die tschechoslowakische Regierung am 30. September 1938 eine Sitzung ab, in der das Münchener Abkommen angenommen wurde. In dem offiziellen Bericht heißt es:
„Nach reiflicher Erwägung und Prüfung aller dringlichen Empfehlungen, die der Regierung durch die französische und britische Regierung übermittelt wurden, und im vollen Bewußtsein der historischen Verantwortung hat sich die tschechoslowakische Regierung unter voller Zustimmung der verantwortlichen Faktoren der politischen Parteien dazu entschlossen, die Münchener Beschlüsse der vier Großmächte anzunehmen. Sie hat dies im Bewußtsein getan, daß die Nation erhalten werden muß und daß eine andere Entscheidung heute nicht möglich ist.“
Wiedergegeben nach Seite 29 in „Die Tschechoslowakei: Das Ende einer Fehlkonstruktion“ (Richard W. Eichler: „Die entlaufene Braut“, Seite 24)
„Keesing’s Archiv der Gegenwart“ gibt auf Seite 3745 C einen inhaltlich gleichbedeutenden, aber anderen Wortlaut wieder. ML 2001-04-15
Quelle des Briefes, der Anmerkungen und weiteren Ausführungen: www.mitteleuropa.de